Als an Silvester meine Familie miteinander angestossen hat, stand ich allein auf meiner Terrasse. Die Tränen konnte ich nicht zurückhalten, wie so oft im letzten Jahr. Es gab Tage, an denen ich nicht aufhören konnte, zu weinen. Teils, weil ich unglaublich schöne und ermutigende Mails, Briefe und auch persönliche Anrufe bekommen habe, teils, wegen des Schmerzes, den Leute, die ich – zum Glück – nicht mal kenne, in mir ausgelöst haben, was nie jemand verstehen wird, der sich nie in meiner Situation befunden hat. Anstand und Respekt sind gerade auf sozialen Medien zu absoluten Fremdwörtern verkommen. Oft blieben die Absender anonym oder bedienten sich Pseudonymen. Wahrscheinlich im Wissen, dass man sich lieber versteckt, als mit seinem Namen für seine Diffamierungen hinzustehen. Das nenne ich Feigheit! Und wahrscheinlich ist es besser, diese Leute bleiben namenlos, denn sie sind es nicht wert, gekannt zu werden. Ich weiss nicht, von wem diese Aussage stammt, aber es trifft wohl zu, dass diese Menschen auch im realen Leben für nichts zu gebrauchen sind!
Ich wurde als Superspreader bezeichnet, weil ich nicht bereit war, mich testen zu lassen. Dabei blieb ich Anlässen, Restaurantbesuchen etc. fern. Ich war wohl eine, die gerade deshalb, weil ich die Konsequenzen des Nichttestens getragen habe, das Virus nicht verbreitet habe. Als ich dann krank wurde, nahm ich meine Verantwortung wahr und liess mich testen, worauf ich zehn Tage in Quarantäne verbringen musste. Die meiste Zeit gesund, denn nach drei Tagen war ich bereits wieder symptomlos. Und als ich dann aufgrund des positiven PCR-Tests ein Zertifikat erhielt, konnte ich die Tränen ein weiteres Mal nicht zurückhalten. Es nahm einen Druck von mir weg, den man nicht in Worte fassen kann. Kein einziger, der geimpft ist, kann sich in diese Lage versetzen. Keiner! Denn die Geimpften hatten von Anfang an alle Privilegien. Und plötzlich hatte ich sie auch wieder, diese falschen Freiheiten, Privilegien genannt, die einem einfach wieder genommen werden können! Obwohl ich diese «Freiheiten» nicht wollte, war es doch tröstlich, zu wissen, dass man nun mit seinen Kindern in ein Spital könnte, falls es denn notwendig werden würde. Nicht für Kino- oder Theaterbesuche. Nein, für ganz grundlegende Dinge, wie in ein Spital zu können. Man braucht einen «Beweis» dafür, gesund zu sein, um in ein Spital gelassen zu werden. Wie absurd! Das alles macht etwas mit einem! Mich hat es stärker, mutiger und gelassener werden lassen.
Der Schauspieler Denzel Washington sagte einst: «So viele Dinge kommen zurück und sind wieder in. Ich kann es kaum erwarten, bis Moral, Respekt und Intelligenz wieder im Trend sind.» Ja, ich kann es auch kaum erwarten! Denn eine Gesellschaft funktioniert nur mit Anstand und Respekt.